Tragwerksplanung - Statik

Leonardo da Vinci Obgleich das Bauen im Wesen des Menschen verankert zu sein scheint und lange vor unserer Zeitrechnung bereits beeindruckende - teilweise noch heute existierende - Bauwerke errichtet wurden, so wurden diese doch nicht auf der Grundlage analytischer Betrachtungen sondern auf Basis des sogenannten gesunden Menschenverstandes, der Erfahrung und nicht zuletzt überlieferter Faustregeln der alten Baumeister errichtet. Als Beispiel kann das zwischen 33 und 22 v. Chr. entstandene Werk De architektura von VITRUV, dem Baumeister Kaiser AUGUSTUS, genannt werden, das vom Amphitheater bis zur Wasserleitung für nahezu jedes Bauwerk Regeln enthielt die zu einem funktionstüchtigen Gebäude führen sollten. Die Dimensionierung der Bauteile erfolgte dabei anhand von Regeln zu Proportionen; weder die Beanspruchung noch die Widerstandsfähigkeit eines Bauteils konnte damals zutreffend ermittelt werden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der großen Denker von ARCHIMEDES bis LEONARDO DA VINCI hatten eher philosophischen Charakter und keine Auswirkungen auf die Baupraxis. Vielmehr griff LEONARDO DA VINCI noch 1490 n. Chr. die Ausführungen VITRUVs zu den Proportionen auf und schuf die berühmte Zeichnung der vitruvianische Mensch mit der er nachwies, dass sich der aufrecht stehende Mensch sowohl in die Geometrie des Kreises wie des Quadrates einfügt.

Entstehung des Ingenieurwesens

Es gibt keine Wissenschaft, die sich nicht aus der Kenntnis der Phänomene entwickelt, aber um Gewinn aus den Kenntnissen ziehen zu können, ist es unerläßlich, Mathematiker zu sein DANIEL BERNOULLI

Festigkeitstheorie GALILEO GALILEI, der als Professor an der Universität von Padua lehrte, verfasste - während seines päpstlich verordneten Hausarrrestes - 1638 die Discorsi e dimostrazioni matematiche, intorno a due nuove scienze. Die darin behandelten zwei neuen Wissenschaften sind die Elastizitätstheorie und die Kinematik. GALILEI überging zunächst die Zwischenphasen der elastischen und plastischen Verformung eines Bauteils und stellte die Frage wann ein eingespannter Balken unter Last brechen würde. Er stellte fest, dass sich die von außen einwirkenden Kräfte (E und das Eigengewicht G des Balkens) mit dem Widerstand des Balkens an der Einspannstelle AB im Gleichgewicht befinden müssen. Desweiteren ging er davon aus, dass sämtliche Fasern des Balkens gleichzeitig abreißen und mithin die gleiche Kraft aufnehmen und sich der Querschnitt um die untere Achse in Punkt B drehen würde und erhält damit den Ausdruck:
(E+G/2)l = sbh*h/2, (mit s = Spannung der Fasern)
Da die Fasern in B in dem Maße gestaucht wie sie in A gedehnt werden und ihre Beanspruchung am Rand größer als in der Mitte des Balkens ist, lautet die korrekte Lösung zwar (E+G/2)l = sbh*h/6; entscheidend ist jedoch die praxisgerechte Erkenntnis, daß die Tragkraft des Balkens mit dem Quadrat seiner Höhe zunimmt - oder - wie der Zimmermann sagt: Die Höhe trägt.
Ganz Ingenieur stellt er zudem fest, dass bei dem oben betrachteten Balken ein Drittel an Material eingespart werden könnte, wenn seine Höhe vom freien Ende zur Einspannstelle parabolisch wächst (bei Vernachlässigung des Eigengewichtes).
Mit der mathematischen Betrachtung der Naturphänomene überwindet GALILEI die Phase der Naturphilosophie und begründet das Ingenieurwesen indem er zeigt, dass die Anwendung der Theorie zu besseren Ergebnissen in der Praxis führt.

Notwendigkeit der Anwendung der Mathematik

Als Mitte des 18. Jahrhunderts an der von MICHELANGELO 1547 - 1564 konstruierten Kuppel des Petersdoms Risse und besorgniserregende Schäden festgestellt wurden, beauftragte Papst BENEDIKT XIV. drei Mathematiker und den Wasserbauingenieur der Republik Venedig, POLENI, die Ursachen zu ergründen.
Stützlinie Das Gutachten der drei Mathematiker wurde 1743 veröffentlicht, das von POLENI 1748. Aufgrund der Vorgehensweise und der dargelegten Gedanken kann dieses Ereignis als die Geburtsstunde des modernen Bauingenieurwesens betrachtet werden.
Bei der Formfindung eines Gewölbes geht es vor allem darum schädliche Zugspannungen möglichst zu vermeiden. Die sich aus Form und Massenverteilung ergebende Stützlinie muss innerhalb des Gewölbequerschnittes verlaufen; dennoch können Zugspannungen nicht gänzlich eliminiert werden. Für die Analyse behalf man sich einer Analogie zwischen der Stützlinie des Gewölbes und der Kettenlinie: Eine schlaff hängende Kette wurde mit Gewichten bestückt die der Eigenlast der Gewölberinge entsprachen. Die so entstandene Form der Kette wurde als die ideale Stützlinie betrachtet.
Derartige Kenntnisse oder Erfahrungen müssen allerdings schon in der Antike bekannt gewesen sein. Anders sind die großartigen Gewölbekuppeln des Pantheons (128 n. Chr., 43 m Durchmesser) und der Hagia Sophia (537 n. Chr., 32 m Durchmesser) kaum zu erklären.
Zugring Die Berechnungen der drei päpstlichen Mathematiker ergaben, dass die von MICHELANGELO vorgesehenen Zugringe im Bereich des Kämpfers (= unterer Ansatz der Kuppel) zu schwach dimensioniert waren; man ermittelte einen Fehlbetrag von 110 Tonnen und schlug vor, zusätzliche Stahlringe - die mit einem Sicherheitsfaktor 2 zu dimensionieren wären - einzubauen.
Um die Konstruktion dieser Zugringe, ihre Bemessung und die Überprüfung ihrer Tragfähigkeit mittels Versuchen machte sich POLENI vertieft Gedanken - wie nebenstehende Zeichnung zeigt. Er stellte Zerreißversuche am Stab (Fig. XV.), an einzelnen Seilen (Fig. XVI.) und an Seilsystemen (Fig. XVII.) an. Insbesondere ermittelte er die Zerreißkraft eiserner Probestücke, so dass er über die geprüften Querschnitte eine Dimensionierung der erforderlichen Querschnitte vornehmen konnte.
Sehr interessant sind auch seine Überlegungen zur Konstruktion des Zugringes. Da dieser aus einzelnen Elementen gefertigt werden musste, schlägt er eine Bolzenverbindung der Teilstücke vor und plädiert für das Einlassen der Elemente in das Mauerwerk um bei einem eventuellen Versagen eines Bolzens nicht die Tragwirkung des ganzen Ringes zu verlieren. Letztlich konnte das einzigartige Bauwerk mit fünf zusätzlichen Zugringen stabilisiert werden und die rabiaten alternativen Sanierungsvorschläge wie das Abtragen der Laterne und das Verfüllen der Treppenhäuser konnten unterbleiben.

Vollendung der Balkentheorie

Es dauerte noch rd. 200 Jahre bis die von GALILEI 1638 entwickelten Grundlagen zur Balkentheorie mathematisch korrekt formuliert werden konnten.
Zunächst stellt HOOKE um 1678 die Linearität zwischen Beanspruchung und Längenänderung eines Stabes fest. Weiter bedurfte es der Entwicklung der Differentialrechnung durch den virtuosen Mathematiker JACOB BERNOULLI, für den die elastische Biegung das Lieblingsthema seines wissenschaftlichen Lebens war. Kurz vor seinem Tod 1705 beendet er seine letzte Arbeit über die Theorie des Balkens mit den Worten:
Viele Dinge habe ich mir noch nicht angeeignet; auch ist es einem einzigen Menschen nicht gegeben, all diese Fragen zu beantworten. Außerdem sollte man einiges dem Fleiß der Leser überlassen, die nun reichlich Gelegenheit haben, unsere Entdeckungen zu vervollständigen.
Es blieb EULER (1744) vorbehalten zu erkennen, dass die Verformung des Balkens einer Energie entspricht und die Minimierung dieser Energie, unter den gegebenen Umständen, mittels Variationsrechnung zur tatsächlichen Biegelinie führen würde.
Der in Theorie, Experimentierkunst und Praxis bewanderte COULOMB, der in der westindischen Kolonie Frankreichs Festungsbauten leitete, war der erste, der Zug-, Druck- und Schubspannungen unterscheiden und entsprechende Gleichgewichtsbedingungen für den Querschnitt zu formulieren vermochte und so auch zum korrekten Widerstandsmoment W = bh*h/6 = M/s eines Balkens gelangte (1776).
Schließlich gelang es NAVIER 1825 den Elastizitätsmodul (E) in der heutigen Form zu definieren und die Differentialgleichung der elastischen Linie herzuleiten: Die zweite Ableitung der Biegelinie entspricht der Krümmung (1/r), diese wiederum entspricht M/EI (zuzüglich Anteilen aus Schub- und evtl. Temperaturverformungen, bei gerader Stabachse und Lastangriff in der Schwerachse). Etwas umgeformt ergibt sich mit w als Durchbiegung: Balkenelement
EI*w'' + M = 0
Bei dieser Schreibweise wird die bereits von GALILEI entwickelte Idee des Gleichgewichtes zwischen der äußeren Beanspruchung M und dem aus den Spannungen im Querschnitt gebildeten inneren Moment EI*w'' deutlich.
Betrachtet man zudem die rechts dargestellten Gleichgewichtsbedingungen am differentiellen Balkenelement ergibt sich dM/dx = V, dV/dx = -q und daraus d2M/dx^2 = -q (mit V = Querkraft und q = Streckenlast); oben eingesetzt und zweifach differenziert erhält man die allgemeine Differentialgleichung vierter Ordnung der Biegelinie ohne Querkrafteinfluss:
(EI*w'')'' - q = 0

Erweiterung der Dimensionen

Man könnte meinen, dass mit der Entwicklung der Differentialgleichung des Balkens die Erweiterung auf Flächentragwerke leicht möglich sei, dem ist aber nicht so. Schon 1788 veröffentlichte JAKOB II. BERNOULLI eine Plattendifferentialgleichung die er aus den Arbeiten von EULER am schwingenden Stab ableitete. BERNOULLIs Hypothese, die Platte bestünde aus zwei Lagen rechtwinklig zueinander verlegter und miteinander verbundener Balken erwies sich jedoch als tückisch und erbrachte keine befriedigende Übereinstimmung mit dem Experiment da die verformten Plattenelemente sich nicht nur - wie die Balken - in x- oder y-Richtung verbiegen sondern sich auch verdrehen und Schubkräfte aufeinander ausüben.
Plattenschwingung Zunächst näherte man sich der Plattentheorie über die Akustik und versuchte die Schwingungen elastischer Platten zu analysieren. Diese Untersuchungen gehen auf einen gewissen Herrn CHLADNI zurück der um 1800 durch Europa reiste und seine Zuhörer beeindruckte in dem er Glasplatten mit feinem Sand bestreute und diese so mit dem Geigenbogen in Schwingungen versetzte, dass darauf die schönsten Klangfiguren entstanden. Der Effekt beruht auf dem Umstand, dass der Sand von den Schwingungsbäuchen der Platte weg wandert und sich in den Knotenlinien ansammelt. Hierbei zeigte sich offenbar, dass schon kleine Änderungen bei der Anregung zu sehr unterschiedlichen Formen führten. Siehe nebenstehende Tab. V. aus der 1787 erschienene Akustik von CHLADNI.
Diese Vorführungen waren damals ziemlich populär; so ist ein Treffen mit GOETHE dokumentiert und sogar bei Kaiser NAPOLEON durfte CHLADNI vorsprechen. Er erhielt ein Honorar für seine weiteren Forschungen und 1808 wurde gar ein Preisgeld von 3000 Franc für die mathematische Lösung dieses Phänomens ausgelobt.
Obwohl der Abgabetermin für die diesbezüglichen Arbeiten zweimal um jeweils zwei Jahre verschoben wurde, weil keine befriedigenden Ergebnisse vorlagen, war die 1815 von SOPHIE GERMAIN präsentierte und schließlich prämierte Plattendifferentialgleichung auch nicht wirklich korrekt und lieferte nur für die im Preisausschreiben geforderten Rechteckplatten eine gewisse Übereinstimmung mit der Realität.
Die große Kunst besteht nicht nur in der mathematische exakten Formulierung aller Einflüsse sondern auch im geschickten Eliminieren unwesentlicher Einflüsse durch sinnfällige Annahmen wie z. B. Plattendicke und Verformungen sind klein im Verhältnis zur Ausdehnung der Platte.
Platten-DGL Erst 1850 gelang es dem Physiker GUSTAV ROBERT KIRCHHOFF in seinem Werk Über das Gleichgewicht und die Bewegung einer elastischen Scheibe alle Unklarheiten zu beseitigen, die Fehler in den Hypothesen seiner Vorgänger herauszuarbeiten und die Plattendifferentialgleichung in der noch heute üblichen, korrekten Form aufzustellen.

Anwendung der Differentialgleichungen

Die Eleganz der Schreibweise der Differentialgleichungen täuscht leicht über die Schwierigkeiten die sich bei deren praktischen Anwendung ergeben hinweg. Tatsächlich findet man für die partielle Differentialgleichung vierter Ordnung der Platte nur für einige spezielle Fälle (Kreisplatte oder Rechteckplatte mit gegenüberliegenden frei drehbaren Rändern, konstante oder sinusförmige Belastung, etc.) Lösungen. Alltägliche Probleme wie Aussparungen in den Decken oder einspringende Deckenränder entziehen sich gänzlich einer analytischen Betrachtung.
Momententafeln Für Standartfälle wurden Lösungen mit FOURIERreihen entwickelt; d. h. der Momentenverlauf wurde durch (differenzierbare) trigonometrische Polynome approximiert. Wo dies nicht gelang oder zu aufwendig erschien - bspw. bei Platten mit fest eingespannten und ungestützen Rändern - behalf man sich mit der Differenzenmethode. Dabei wird das kontinuierliche Differential (dx -> 0) durch endliche Differenzen ersetzt, es entsteht ein Netz mit Lösungen an diskreten Punkten. Selbstverständlich führte dies zu kontroversen Diskussionen, da man vielfach nur die analytische Lösung als die wahre Lösung betrachtete und den diskreten Näherungslösungen kritisch gegenüber stand. Insbesondere da diese gerade an den besonders stark beanspruchten Stellen wie Unstetigkeiten und Singularitäten eben keine exakten sondern nur Durchschnittswerte liefern konnten. Allerdings kann man feststellen, dass auch unsere Baustoffe über ein gewisses Maß an Pragmatismus verfügen und unendlich große Momente auf unendlich kleinen Flächen (z. B. am Übergang eines fest eingespannten Randes zu einem freien Rand) in der Regel nicht von praktischer Bedeutung sind.
Jedenfalls erarbeiteten sich die Ingenieure Anfang des 20. Jahrhunderts umfangreiche Tafelwerke für Kreis- und Rechteckplatten, Behälter und Scheiben, etc. die sie in die Lage versetzten die Beanspruchung in den Bauteilen zutreffend zu ermitteln, wodurch diese erstmals wirtschaftlich geplant und bemessen werden konnten.
Tatsächlich gab es bis zur allgemeinen Verfügbarkeit von PC´s und auf der FEM basierender Software ab Mitte der 1980er-Jahre keine bessere Möglichkeit Plattentragwerke zu bemessen als die Anwendung entsprechender Tafelwerke.

Von der Analysis zur Algebra

Da die physikalischen Grundlagen nun ermittelt und gängige Bauteile wie Balken, Stützen, Platten, Scheiben und rotationssymmetrische Körper zutreffend beschrieben werden konnten, versuchte man die Grenzen auszuloten und mit Hilfe der Mathematik besonders schlanke wie auch besonders widerstandsfähige Bauteile zu konstruieren. Die Herausforderung bestand nun in dem schon oben angedeuteten enormen Aufwand Lösungsfunktionen für die Differentialgleichungen zu finden und die sehr große Anzahl monotoner Rechenschritte von Hand, mit Hilfe des Rechenschiebers und einfacher mechanischer Addiermaschinen durchzuführen. Letztlich war jedoch gerade diese stupide Rechnerei ein Innovationstreiber der eine Entwicklung angestoßen hat die bis heute andauert.
Der Bauingenieur KONRAD ZUSE hat diese Arbeitsweise bei seiner ersten Anstellung als Statiker in den Henschel Flugzeugwerken selbst erfahren; es hat ihn so beeindruckt, dass er schon bald die Stelle wieder aufgab und eine Erfinderwerkstatt in der elterlichen Wohnung einrichtete. Dort versuchte er eine Maschine zu konstruieren die diese Rechenarbeit übernehmen könnte. Zunächst mit elektromotorisch angetriebenen mechanischen Rechenwerken - was nicht befriedigend funktionierte - ab 1940 jedoch mit einem aus Telefonrelais aufgebauten Zentralrechner mit Speicher. Diese Z3 genannten Maschine gilt heute als der erste funktionstüchtige Computer der Welt und wurde zur Berechnung von Matrizen eingesetzt mit denen lineare Gleichungssysteme, wie sie bei statischen Berechnungen vorkommen, gelöst werden können. Wie visionär ZUSE´s Arbeit war, lässt sich an einem Zitat aus 1943 ermessen, das dem damaligen Chef der IBM, T. WATSON zugeschrieben wird: Ich glaube, dass es auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben wird.
Durch geschicktes Ausnutzen der Analogie zwischen der Gleichgewichtsdifferentialgleichung
M'' + q = 0
und der Verformungsdifferentialgleichung
w'' + M/EI = 0
des Balkens konnten für die Stabstatik Rechenverfahren zur Lösung statisch unbestimmter Systeme entwickelt werden die darauf beruhen, das System in Teilsysteme (z. B. die einzelnen Stäbe eines Fachwerks) zu zerlegen und an den Verbindungsstellen Gleichgewichts- und Verträglichkeitsbedingungen zu formulieren. Dies führt zu Gleichungssystemen die zwar mit dem Grad der statischen Unbestimmtheit anwachsen aber mit den bekannten Methoden der linearen Algebra lösbar sind. (-> Matrizenstatik)
Die Beziehungen zwischen den Einheitskräften (Moment=1, Querkraft=1 und Normalkraft=1) und den daraus resultierenden Knotenverdrehungen und -verschiebungen können in einer Steifigkeitsmatrix [K] zusammengefasst werden.
Die unbekannten Verdrehungen und Verschiebungen der Knoten werden als Verschiebungsvektor {w} aufgeschrieben und die Momente, Quer- und Normalkräfte sowie die Knotenkräfte an den Enden des (gedanklich) fest eingespannten Stabes als Lastvektor {q} formuliert. Die globalen Gleichgewichtsbedingungen sind erfüllt, wenn {q} = [K]*{w} ist.

Die Finite Element Methode

Es zeigte sich, dass sich dieses Prinzip gut verallgemeinern lässt. Nicht nur die natürlich vorgegebenen Stäbe eines Fachwerks lassen sich so einzeln beschreiben und hernach in einer globalen Systemgleichung zusammenfassen. Auch die Stäbe selbst können in Einzelteile endlicher Größe, sogenannte Finite Elemente, aufgeteilt werden. Jedes Element erhält zunächst ein lokales Koordinatensystem in dem die physikalischen Eigenschaften in Matrizenform beschrieben werden:
Steifigkeitsmatrix - Die Steifigkeitsmatrix [K] beschreibt die Knotenkräfte die infolge von Einheitsverschiebungen und Einheitsverdrehungen der Knoten an dem voll eingespannten Element entstehen.
- Die geometrische Steifigkeitsmatrix [Kg] beschreibt die Veränderung der Biegesteifigkeit des Elementes infolge von Normalkräften (Zugkräfte machen ein Bauteil biegesteifer, Druckkräfte vermindern die Tragfähigkeit, man nennt die Berücksichtigung dieses Effekts auch Theorie II. Ordnung)
- Die Massenmatrix [m] beschreibt die Knotenkräfte die infolge von Einheitsbeschleunigungen der Knoten am voll eingespannten Element entstehen. Damit lassen sich auch Schwingungen von Bauteilen untersuchen.
- Der lokalen Lastvektor {f} beschreibt die Knotenkräfte die infolge der von außen auf das Element einwirkenden Lasten entstehen.
- Initiale Dehnungen und Krümmungen, wie sie durch Temperaturänderungen und unterschiedliche Temperaturen im Element entstehen, werden mit einem weiteren Lastvektor {f0} beschrieben.
Daraus folgt die Gleichung für die Knotenkräfte
{q} = -[m]{d2w/dt²} - ([K]+[Kg]){w} + {f} + {f0}.
Damit ist die tragwerkbezogene Formulierung vollzogen, was nun folgt, sind für viele verschiedene Tragwerke gleichartige Algorithmen zur Rotation der lokalen Koordinaten des finiten Elementes in die globalen Koordinaten des Tragwerks, dem Aufstellen der globalen Systemgleichung durch Formulierung von Gleichgewichtsbedingungen an den Knoten und das möglichst effiziente Lösen des Systems, da schon überschaubare Tragwerke enorme Datenmengen verursachen.
Schale Als finite Elemente können die oben beschriebenen Stabelemente aber auch Dreieck- und Viereckflächen, Schalen und Prismen eingesetzt werden. Immer sind es relativ einfache Geometrien die nur in den Knoten miteinander verbunden sind und für die die physikalischen Gesetzmäßigkeiten (Differentialgleichungen) formuliert werden können. Auch hinsichtlich des Maßstabes gibt es wenig Einschränkungen. Sind bei Schalen- und Plattentragwerken Kantenlängen der Elemente von etwa 50 cm üblich, können für die Detailanalyse beispielsweise der nebenstehend abgebildeten Ankerplatte Elementgrößen im Zentimeterbereich eingesetzt werden.
Ankerplatte Längst ist diese Methode nicht mehr nur auf die Tragwerksplanung beschränkt. Mittlerweile werden neben Temperatur- und Magnetfeldern auch Gas- und Flüssigkeitsströmungen mit der FEM untersucht, sie wurde zum universellen Werkzeug der Ingenieure.
Pionierarbeit auf dem Gebiet der FEM leisteten die Bauingenieure ARGYRIS (Stuttgart) und CLOUGH (Berkeley) seit den 1950er-Jahren.
Erste Anwendungen des damals ESEM (Elektrostatik-Element-Methode) genannten Verfahrens wurden ebenfalls in den 50er-Jahren durch ein bei Daimler-Benz entwickeltes Programm möglich mit dem Tragflächen und Karosserien untersucht wurden - lange bevor die Computergestützte Konstruktion (CAD) in den 80ern zum Standard wurde. Die heute übliche Bezeichnung FEM (Finite-Element-Methode) setzte sich erst in den 70er-Jahren durch, wird heute jedoch überall verwendet.